Der Roman Nussschale von Ian McEwan ist eine sehr ungewöhnliche Adaption von Shakespeares Hamlet.
Trudy, hochschwanger von ihrem Mann John, lebt mit dessen Bruder Claude zusammen. John hat das gemeinsame Haus, eine heruntergekommene Immobilie in guter Londoner Lage, vorläufig seiner Frau und ihrem Liebhaber überlassen. Die Brüder werden sehr gegensätzlich gezeichnet: auf der einen Seite John als feinsinniger Dichter, dort Claude als dummdreister Sexprotz. Um das Haus verkaufen zu können, hecken Trudy und Claude einen Giftmord an John aus.
Der ganze Plot wird allein von Trudys ungeborenem namenlosen Jungen erzählt. Hat man sich erst einmal auf dessen völlig unbabyhafte Weitsicht und Bildung eingelassen, verfolgt man die Geschichte aus ungewohnter Perspektive mit großem Vergnügen. So beengt dessen Lage im Mutterleib ist, so frei ist der Geist des Ungeborenen. Das Baby analysiert seine Lage, kommentiert und philosophiert dazwischen über den Zustand der Welt, die ihn erwartet. Es macht sich Gedanken, was aus ihm wird, da die Erwachsenen viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind und niemand erkennbar für das Baby Vorsorge trifft.
Hin- und hergerissen zwischen der Solidaridät zu Mutter und Vater fiebern wir mit, ob der geplante Mord wirklich durchgeführt wird. Eloquent beschrieben erwarten wir gespannt den Ausgang der Geschichte, zu dem das Ungeborene überraschend aktiv beiträgt.
Claudia
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