Ein Perspektivenwechsel im Blick auf das Leben der englischen Lyrikerin Elizabeth Barrett Browning – aus den Augen ihres Hundes.
Elizabeth Barrett Browning wurde zu Beginn des 19.Jahrhunderts in England geboren. Nach einer Reihe von Krankheiten und Schicksalsschlägen in jungen Jahren, verbrachte sie einen Großteil ihrer ersten Lebensphase als Invalidin im väterlichen Haus. Nichtsdestotrotz kämpfte sie sich in ein selbstbestimmtes Leben, in dem sie eine Fülle Gedichte verfasste, diese erfolgreich veröffentlichte und schließlich mit ihrem Ehemann Robert Browning nach Italien auswanderte. Wendungen in ihrem Leben, die sie nicht zuletzt der Unterstützung durch ihren Hund Flush verdankte.
In dessen Lage versetzt sich Virginia Woolf in ihrem Werk, das den Weg vom Londoner Krankenzimmer zur florentinischen Casa Guidi beschreibt. Flush, ein Abkömmling eines edlen Hundegeschlechts, kommt als junger Hund zur gesundheitlich geschwächten Elizabeth. Dort versteht er vieles nicht. Die Enge und stark eingeschränkte Bewegungsfreiheit irritieren ihn, aber er gewöhnt sich dennoch schnell an seine neuen Lebensumstände:
Sie vermochten sich nun einmal nicht mit Worten zu verständigen, und das führte zweifellos zu vielen Mißverständnissen. Aber führte es nicht auch zu einer besonderen Vertrautheit? […] Können Worte irgend etwas sagen? Zerstören Worte nicht das Sinnbild, das jenseits des Bereichs der Worte liegt?
Virginia Woolf: Flush. S. Fischer Verlag, 1977, S.39
Während kurzer Ausflüge nach draußen, reflektiert er auch über die viktorianische Gesellschaft, die er dort antrifft. Nach anfangs missglückten Annäherungen und einer sogar physischen Auseinandersetzung mit Robert Browning sowie zwei qualvollen Entführungen durch Hundefänger führt ihn das Leben nach Italien. In Pisa und Florenz entdeckt er nicht nur neue Gärten und fremdartige Artgenossen, sondern auch eine größere Freiheit und Leichtigkeit des Daseins. Am Ende eines langen und erlebnisreichen Lebens verabschiedet er sich von der „Welt als einen angenehmen Aufenthalt“ (Virginia Woolf: Flush. S. Fischer Verlag 3., 1977, S. 154) und von der Seite Elizabeths.

Meine Leseerfahrung
Flush hat es gleich aus zwei Gründen auf meine Leseliste geschafft: die von Woolf verfasste Hundestimme und die Lebensgeschichte der Elizabeth Barrett Browning. Letztere hatte schon vorher einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Dementsprechend gespannt war ich auf die Woolfsche Adaption, die bewusst Realität mit Fiktion mischt.
Mit einer oft verblüffenden Leichtigkeit verbindet Woolf kritische Beobachtungen, beispielsweise zur viktorianischen Klassengesellschaft, mit alltäglichen Schilderungen des Hundelebens. Letzteres beschreibt sie auf eine Weise, die ich persönlich als angenehm zu lesen empfunden habe. Sie formuliert Flushs Perspektive ähnlich einer menschlichen, lediglich etwas naiver und isolierter. Durch die häufigen Beschreibungen der Umgebung, vom starren London zum warmen, bunten Florenz, fällt es leicht, sich in die Situationen und an die Orte zu versetzen. Keine der Schilderungen hinterlassen einen deprimierenden Eindruck, sondern lösen sich in weiteren Erfahrungen Flushs und Elizabeths ruhig auf. Ich habe mich daher nach der Lektüre nicht schwermütig gefühlt, obwohl die Erzählung mit Flushs Ableben endet, sondern habe gerne über das Gelesene nachgedacht.
Alles in allem ist Flush für mich eine leichte und oft humorvolle Erzählung über das Leben im 19. Jahrhundert sowie über Treue, innerer Verbundenheit und Gemeinschaft aus der Perspektive eines Hundes. Ich würde es nicht nur Hundefreund*innen oder Poesieliebhaber*innen empfehlen, sondern euch allen. Ich habe es sehr gerne gelesen und schließe, damit auch alle lyrischen Hundefreund*innen auf ihre Kosten kommen, mit den Worten Elizabeth Barrett Brownings in ihrem Gedicht „To Flush, my Dog“:
[…] This dog only, waited on,
Knowing that when light is gone,
Love remains for shining. […]To Flush, my Dog. Elizabeth Barrett Browning
Jetzt lesen
Virginia Woolf: Flush / Fischer, 1977. – 175 Seiten

Autorin des Blogbeitrags:
Ariane Weber (Bibliotheksreferendarin an der Bibliothek des Karlsruher Instituts für Technologie und Praktikantin an der Stadtbibliothek Erlangen)
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