Mit einer Ausstellung sowie vielen weiteren Aktionen möchte der Verein #MakeYourTownQueer zur Auseinandersetzung mit dem eigenen wie dem fremden Anderssein anregen und Vorurteile abbauen. Die Gastautoren Pascal Oswald und Lukas Geyer berichten an dieser Stelle über das Projekt.
Es ist der 22. Oktober 2020, als der Papst offiziell verkündet, dass er der gleichgeschlechtlichen Familie vor Gott und dem Gesetz seinen persönlichen Segen gibt (wenngleich nicht der Erweiterung des kirchlichen Ehebegriffs). Es ist ein großer Schritt für die LGBTQIA*-Bewegung – welchen wir durchaus feiern, da er unsere jahrzehntelange Aktivismus- und Aufklärungsarbeit bestätigt.
Andererseits müssen wir uns dennoch fragen, warum es erst jetzt zu so einer späten Einsicht kam.
Reisen wir gedanklich ein paar Jahre zurück und ein paar tausend Kilometer westlich über den Atlantik zu dem „Wendepunkt“ im Kampf für sexuelle Gleichbehandlung und Gleichstellung. Am 28. Juni 1969 kam es zu den berühmten Stonewall-Aufständen im New Yorker Stadtteil Greenwich Village. Als die Polizei einmal mehr die Schwulenbar Stonewall Inn in einer Razzia stürmen wollte, kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den hauptsächlich homo- und transsexuellen Besucher:innen, die sich zu tagelangen Straßenkämpfen ausweiteten.
Seit jeher feiert die queere Community den Christopher Street Day als einen Fest- und Gedenktag – nicht nur um an die Geschichte der gesellschaftspolitischen Bewegung zu erinnern, sondern auch um auf noch immer bestehende politische und gesellschaftliche Missstände im In- und Ausland aufmerksam zu machen.
Cristopher Street Day – Erlangen
Mehr als ein halbes Jahrhundert später haben wir es uns vom #makeyourtownqueer e.V. selbst zur Aufgabe gemacht, auch in Erlangen einen ersten eigenen CSD auf die Beine zu stellen.
Neben einigen rechtlichen und finanziellen Hürden hat uns dabei dieses Jahr natürlich auch ein unvorhersehbar wütendes Virus das Leben etwas schwerer gemacht als gedacht.
Aber dank der Unterstützung von vielen Vereinen, Organisationen und Privatpersonen und vor allem durch die Stadt Erlangen selbst, ist es uns dennoch gelungen, einige repräsentative Events ins Leben zu rufen, um den CSD Erlangen 2020 in gebotenem Maße trotz allem abhalten zu können.
Come Stand 4 Diversity – Ausstellung
Zu diesen Alternativ-Events, die den ursprünglich geplanten Straßenumzug ersetzen sollen, gehört unter anderem eine Fotoausstellung in der Stadtbibliothek zu Themen sexueller und geschlechtlicher Diversität. Mit vielen Hintergrundinformationen und Anlaufstellen für Betroffene, Fragende, Neugierig Interessierte, Angehörige oder Freunde queerer Menschen.
Wir hoffen, dass diese Ausstellung ein Stück weit dazu beigetragen wird, die Sichtbarkeit – und damit die Akzeptanz – von queeren Personen in der Metropolregion zu erhöhen und dadurch für noch mehr Menschen ein positives, unterstützendes und sicheres Umfeld zu schaffen, das es ihnen erlaubt, zu sein, zu lieben, und zu leben, wie sie fühlen.
Unserem Verständnis nach ist es essenziell, die gelebte Vielfalt in der breiten und gerade auch der lokalen Öffentlichkeit sichtbar zu machen – unabhängig von der Größe der Gemeinde: Großstadt, Kleinstadt, Universitätsstadt, Gemeinde, Dorf, ganz egal.
Nur durch sichtbares Erleben des Unbekannten verschwindet für viele die Angst vor dem „Andersartigen“ und macht aus „Fremden“ ganz normale Mitmenschen. Unter diesem Anspruch verfolgen wir daher das Ziel, in allen Bereichen ein offenes und positives Umfeld zu schaffen, das es allen Bürger:innen in der Region ermöglicht, zu ihrer Sexualität, ihrer geschlechtlichen oder Gender-Identität, ihrer Hautfarbe, ihrer Nationalität, ihrer Religion etc. zu stehen und sich darin frei von Scham und Angst entfalten zu können. CSDs werden erst dann nicht mehr nötig sein, wenn auch Outings überflüssig geworden sind!
Sichtbarkeit schafft Sicherheit!
Der aktuelle Rechtsruck der deutschen, vor allem aber auch der (ost-)europäischen Politik hingegen versucht, gesellschaftliche Scham und Schande wieder salonfähig zu machen.
Doch man muss nicht in den Bundestag oder gar zu den „LGBT-freien Zonen“ Polens blicken, um Diskriminierung und Intoleranz zu erfahren. Gewalt, Hass, und Unmenschlichkeit gegenüber queerer Menschlichkeit gehören leider noch immer zur Alltagserfahrung vieler Andersliebender, selbst in liberalen Hochburgen wie Berlin oder Paris. Wir fordern: Aufklärung statt Ausgrenzung, denn in den Worten unserer Politdragqueen Uschi Unsinn – Sichtbarkeit schafft Sicherheit!
*Die Abkürzung LGBTQIA* dient als Sammelbezeichnung für die queere Community und steht im Einzelnen für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer, Intersexual und Asexual bzw. Aromantic. Das Sternchen* öffnet die Buchstabenfolge für weitere Geschlechtsidentitäten.
Impressionen – Vernissage und Ausstellung
Aus dem Gästebuch:
“Danke für diese bewegende Ausstellung. Es ist unglaublich schön und wichtig, uns an öffentlichen Orten zu sehen, unsere Geschichten sichtbar zu machen und Raum für queeren Mut, Geschichte und Stolz zu haben. Ich hoffe, dass Ausstellungen wie diese zur Normalität werden. Stay Queer!”
Queere Literatur:
In der Stadtbibliothek sind zahlreiche Bücher zu queeren Lebensweisen erhältlich.
Über die Gastautoren:
Pascal Oswald studiert Zahnmedizin und engagiert sich bei der AidsHilfe. Lukas Geyer studiert Elektrotechnik und ist bei der Jugendinitiative Fliederlich ehrenamtlich aktiv. Beide haben als Mitglieder von #MakeYourTownQueer den ersten Erlanger CSD mitgeplant.
Redaktion
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