Der Türkisch-Deutsche Solidaritätsverein (TDS) zeigte vom 18. November 2021 bis 11. Januar 2022 Karikaturen von Hayati Boyacıoğlu in der Erlanger Stadtbibliothek. Ein Interview mit Zafer Titiz und Salih Arican.
Bitte stellen Sie Ihren Verein kurz vor:
Der Türkisch-Deutsche Solidaritätsverein Erlangen (TDS) wurde gegründet von türkischen Studierenden und deutschen Unterstützern im Oktober 1981. Die Gründung war eine Reaktion auf den Militärputsch in der Türkei vom 12. September 1980.
Der TDS beobachtet mit Sorge den wachsenden Einfluss religiös orientierter Kreise in der Türkei, die ein grundsätzlich anderes Verständnis von Demokratie und Rechtsstaat haben und die von Mustafa Kemal Atatürk mit der Gründung der türkischen Republik begonnene Neuorientierung in Frage stellen.
Was sollten wir über Hayati Boyacıoğlu wissen?
Hayati Boyacıoğlu kam zum Studieren im Jahre 1978 nach Deutschland. Er wollte eigentlich Trickfilmzeichner, Karikaturist werden ist aber zum Schluss Publizist und Germanist geworden, und blieb hier der Liebe wegen, wie viele Andere, und unterrichtet in Berlin an einer Schule. Seine Magisterarbeit „Mit der türkischen Brille sieht man manches anders.“ schrieb er über das Buch „Ganz Unten” von Günter Wallraff. Es kommt also darauf an von welchem Blickwinkel die Geschehnisse beobachtet werden! 1985 wurde sein erstes Theaterstück “Kanacken sind Supermänner” in Ludwigshafen in deutscher und türkischer Sprache aufgeführt.
Hayati’s Cartoons betonen die Widersprüche und Absurditäten, die entstehen, wenn unterschiedliche Klassen, Kulturen, Identitäten, Moralverständnisse und Bildungsniveaus aufeinander treffen. Was empfinden Sie beim Betrachten seiner Karikaturen? Was zeichnet diese aus?
Deutschland, mittlerweile offiziell als Einwanderungsgesellschaft anerkannt, ist ein ideales Land für solche Begegnungen. Wenn sich Menschen begegnen, werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlicher. Auch Hayati’s „Striche“ werden von diesen Momenten der Begegnung genährt. Eines der Hauptthemen von Hayatis Cartoons ist natürlich die Türkei, wo in den letzten zwei Jahrzehnten unterschiedliche Lebensstile deutlicher aufeinander prallen. Hayatı Boyacıoglu ist nicht nur ein Karikaturist, sondern gleichzeitig ein Journalist und Schriftsteller. Er sieht in all diesen Bereichen ein Miteinander und platziert die Beobachtung stets vordergründig. Manchmal entsteht daraus eine Karikatur, manchmal eine Reportage manchmal sogar ein Theaterstück. Er versucht die kulturellen Unterschiede, die er selbst erlebt hat, in seinen Zeichnungen, Schriften verständlich wiederzugeben ohne dabei elitär zu wirken.
Der Türkisch-Deutsche Solidaritätsverein (TDS) ist ein langjähriger Kooperationspartner der Bibliothek. Ich erinnere mich an einige spannende Ausstellungen in der Vergangenheit. Zum Beispiel „Karikaturen von Semih Poroy“ über Bücher und andere Dinge oder auch an die Ausstellung über „Flüchtlingscamps in der Türkei“. Welches gemeinsame Projekt ist Ihnen besonders eindringlich in Erinnerung geblieben?
Eigentlich sehr viel! Zum 25-jährigen Jubiläum unseres Vereins hatten wir eine sehr schöne und bedeutsame Foto-Ausstellung von einem sehr bekannten Künstlerehepaar Filiz und Fikret Otyam aus der Türkei und ein Rahmenprogramm dazu mit dem Titel „Frauen Ohne Namen“.
Außerdem kann ich noch zum 30-jährigen Jubiläum unseres Vereins die Fotoausstellung von den archäologischen Ausgrabungen aus Myra und Andriake nennen. Diese Ausstellung wurde mit einem archäologischen Vortrag von Prof. Dr. Klaus Schmidt eröffnet. Er ist der Entdecker einer der ältesten Siedlungen der Welt in Göbeklitepe in der Türkei. Diese Entdeckung gilt heute noch als erste Kultanlage der Welt. Leider verstarb Prof. Dr. Klaus Schmidt zwei Jahre nach diesem Vortrag viel zu früh an einem Herzinfarkt.
Welche Vorhaben hat der Türkisch-Deutsche Solidaritätsverein in der Zukunft? Was liegt Ihnen besonders am Herzen?
Wir konnten leider pandemiebedingt dieses Jahr unser 40-Jähriges Bestehen nicht feiern. Das möchten wir gerne im kommenden Jahr nachholen.
Was mir am Herzen liegt!
Vor 40 Jahren, als wir uns gemeinsam mit unseren deutschen Freunden solidarisierten und den Türkisch Deutschen Solidaritätsverein (TDS) gründeten, hatte Erlangen noch nicht das heutige internationale Flair. Auch die meisten türkischstämmigen Bewohnerinnen und Bewohner hatten andere Sorgen und Interessen als Kultur und Politik. Daher fehlte der Kulturaustausch. Heute ist die Bevölkerungsstruktur internationaler denn je. Obwohl genügend städtische Angebote vorhanden sind, ist entsprechende Beteiligung gering. Kultur wird meistens allein konsumiert. Wünschenswert wäre eine Kulturlandschaft geprägt von Gemeinsamkeit und Meinungsaustausch.
Was die türkische Kultur anbelangt: Es gibt mehr anzubieten als Döner Kebab, Bauchtanz und die Religion.
Vielleicht können wir gemeinsam in der Stadtbibliothek eine türkischsprachige Mediathek-Ecke zusammenstellen, als eine Anregung für eine Kulturlandschaft, geprägt von Gemeinsamkeit und Meinungsaustausch mit Erlangerinnen und Erlangern mit türkischen Wurzeln.
Vielen Dank für das Interview. Der Ausstellung wünsche ich viele Besucherinnen und Besucher und Ihnen und dem TDS alles Gute!
Pressespiegel:
Türkische Karikaturen in der Stadtbibliothek Erlangen von Peter Millian (25.11.2021)
Marlene
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