„Ich würde ja gerne mehr lesen, aber ich habe einfach keine Zeit.“ Wer hat diesen Satz nicht schon einmal gesagt oder gedacht? Er ist quasi mein Motto geworden, dabei habe ich als Teenagerin Unmengen an Büchern verschlungen. Warum hat sich das geändert? Sicher nicht, weil ich Bücher weniger liebe. Es war eben einfach nicht genug Zeit. Dann kam der erste Lockdown und plötzlich fielen viele soziale „Verpflichtungen“ weg. Auf einmal war die Zeit vorhanden, mehr zu lesen – und ich habe es trotzdem nicht getan. Warum?
Ursachenforschung
Das hat sicher viele Faktoren, zum Beispiel, dass ich nach der Arbeit manchmal nicht mehr die Energie habe, mich auf ein Buch zu konzentrieren – oder dass ich die noch vorhandene Hirnkapazität lieber in meine eigenen Texte stecke. Aber am Wochenende gilt das eigentlich nicht.
Natürlich gibt es heute eine Reizüberflutung im Vergleich zu der Zeit, als ich den Tag mit einem Stapel Bücher im Garten verbracht habe. Ich nutze Social Media bis auf Whatsapp nicht einmal aktiv, trotzdem geht dafür (zu) viel Zeit drauf. Ein Youtube-Video anzusehen verbraucht halt doch weniger Energie, als die eigene Vorstellungskraft beim Lesen eines Buchs anzustrengen. Dazu kommen andere Medienformen: Ich liebe Serien und Videospiele und beides kann extrem viel Zeit fressen.
Nicht zuletzt tragen aber auch die Bücher (beziehungsweise meine Auswahl) ein bisschen Schuld an meiner Leseflaute: Ich bin inzwischen eine sehr kritische Leserin und wenn ich ein Buch habe, das mich nicht überzeugt, versuche ich mich meistens durchzuquälen, in der Hoffnung, dass es noch besser wird. Selbst wenn ich das schaffe, habe ich danach meistens keine Motivation, ein neues Buch anzufangen, aus Angst, wieder enttäuscht zu werden.
Das alles hat dazu geführt, dass ich in den letzten Jahren immer weniger Zeit mit dem Lesen verbracht habe, obwohl ich es doch eigentlich liebe. Ich wollte etwas ändern. Und es hat funktioniert!
Masterplan
Zuerst habe ich mir überlegt, wie viel ich früher gelesen habe und wie viel ich gerne wieder lesen würde. Daran habe ich mich dann orientiert, um mir Zeit freizuschaufeln. Mein Ziel war, vier Bücher pro Monat zu lesen, also eines pro Woche. Das sollte bei meinem regulären Lesetempo eigentlich kein Problem sein. Zur Unterstützung dieses Plans habe ich ein Lese-Tagebuch angefangen, wo ich nicht nur festhalte, wie viel ich monatlich gelesen habe, sondern auch Notizen zu meiner Lektüre mache. Das hat mir enorm geholfen. Ich finde es total schön, durchblättern zu können und meine Gedanken zu den Büchern nochmal zu lesen. Für sowas gibt es natürlich auch Apps, ich bin einfach altmodisch. 😉
Auswahl
Der nächste Punkt, an dem ich angesetzt habe, war die Auswahl der Bücher. Ich bin leider eine ziemliche Hamsterin, was Bücher angeht und das ist noch schlimmer geworden, seit ich in der Stabi arbeite. Hier bin ich von Büchern umgeben und nicht einmal mein Geldbeutel kann einschreiten, der Bibliotheksausweis hat schließlich (fast) kein Limit. Wenn ich einen Stapel neu eingetroffener Jugendbücher in der Hand halte, nehme ich meistens direkt ein bis drei mit Nachhause, wo schon einige andere auf einem unschönen Stapel warten. (Ich habe ihn den „Stapel der Schande“ getauft.) Inzwischen ist der Stapel Geschichte (es ist jetzt ein Regal), aber das Problem bleibt dasselbe: Statt Impulskäufen tätige ich Impulsausleihen und ende dann viel zu häufig mit Büchern, die meinen Erwartungen nicht gerecht werden. Inzwischen breche ich zwar (manchmal) durchaus Bücher ab, aber die Enttäuschung bleibt und ist meiner Lesemotivation nicht zuträglich. Das habe ich geändert. Ich überlege mir genau, welche Bücher ich unbedingt lesen möchte und leihe erst einmal nur diese aus. Die ein oder andere Spontanausleihe ist trotzdem noch dabei, aber meistens notiere ich mir solche Funde und widme mich ihnen später. So bin ich auch nicht mehr so überfordert mit 10+ Bibliotheksbüchern, deren Leihfrist abläuft.
Außerdem habe ich dieses Jahr angefangen, deutlich mehr Sachbücher zu lesen. Da sind meine Erwartungen ganz anders als bei Romanen und ich habe die zusätzliche Motivation, dass ich mich durch deren Lektüre zu einem bestimmten Thema weiterbilden möchte. Ein Blick in den Bibliothekskatalog hatte außerdem direkt eine ganze Liste an Büchern zur Folge, die ich unbedingt lesen wollte.
Die Mischung macht‘s
Ich lese inzwischen meistens zwei Bücher parallel. Klingt verwirrend? Ist es nicht, weil ich immer ein Sachbuch und einen Roman lese. Ist das Sachbuch etwas anspruchsvoller, tut es gut, zwischen den Kapiteln mal eine Pause zu machen. Und stagniert die Handlung im Roman, klingt das Sachbuch gleich noch interessanter.
All diese Dinge helfen mir schon, wieder mehr Bücher zu lesen, die ich auch wirklich lesen möchte. So bin ich deutlich motivierter, nach einem langen Arbeitstag nach einem Buch zu greifen und es nicht im Regal verstauben zu lassen.
Aber woher kommt jetzt die Zeit, die ich mir zum Lesen nehme?
Ich habe nicht mehr freie Zeit als vorher, aber ich nehme mir bewusster Zeit zum Lesen. Im zweiwöchigen Sommerurlaub lese ich im Schnitt ein Buch pro Tag. Was ist da anders, außer dass ich natürlich keine Verpflichtungen habe? Ich bin komplett offline. Das Smartphone liegt vergessen in einer Ecke. Das wollte ich zumindest ein bisschen in meinen Alltag übernehmen. Es besteht immer noch Verbesserungsbedarf, aber inzwischen habe ich Zeiten, die nur für mich und meine Lektüre sind. Samstagnachmittag und das Wetter ist schön? Ich setze mich mit einem Buch in den Garten und lasse das Handy im Haus. Das funktioniert sehr gut, da ich dann zu faul bin, es noch zu holen. Und wenn ich abends sehr müde bin, nehme ich mir vor, wenigstens ein Kapitel zu lesen. Oft ist es so spannend, dass ich dann direkt weiterlese.
Erfolg
Mein Plan ist nicht nur aufgegangen, ich habe ihn sogar übertroffen. Wie ihr an meinem Reading-Tracker seht, habe ich in manchen Monaten extrem viel gelesen, in anderen weniger. Das hängt natürlich auch von externen Faktoren wie Zwischenprüfung, Urlaub, etc. ab, aber insgesamt habe ich so viel gelesen, wie seit Jahren nicht mehr. Und ich bin sehr glücklich damit. Ich habe viele großartige Romane gelesen, die jede Minute Lesezeit wert waren. Ein paar Ausreißer gab es natürlich auch: ein Buch habe ich abgebrochen und bei einem musste ich mich zwingen, jeden Tag ein Kapitel zu lesen, in der Hoffnung, dass das Ende die Mühe wert ist (war es nicht). Insgesamt merke ich aber endlich wieder, warum ich das Lesen so liebe: Wegen Romanen, in die ich so eintauchen kann, dass 400 Seiten wie im Flug vergehen und wegen Sachbüchern, die mit ihren klugen Gedanken meinen Horizont erweitern und mir Denkanstöße geben.
Mein Ziel, 52 Bücher zu lesen, habe ich so weit übertroffen, dass der Platz in meinem Lesetagebuch nicht ausgereicht hat, weil es nur für 100 Bücher ausgelegt ist. Und es waren so viele Highlights dabei, dass ich es nicht schaffe, zu allen Lesetipps zu schreiben. Aber ich habe alle Bücher, die 5 von 5 Sternen bekommen haben, in einem eigenen Blogartikel aufgelistet. (Und ich bin ein bisschen verliebt in die ganzen wunderschönen Cover.)
Tatsächlich haben erstaunlich viele Bücher dieses Jahr eine 5-Sterne-Bewertung von mir bekommen, was nicht daran liegt, dass ich weniger kritisch gewesen wäre, im Gegenteil. Ich habe einfach bewusster ausgewählt, welchen Büchern ich meine Zeit widmen möchte und wurde dementsprechend seltener enttäuscht.
Habt ihr auch das Problem, nicht genug Zeit zum Lesen zu finden? Vielleicht hilft euch ja der Artikel ein wenig. Kommentiert gerne, wie ihr euch Zeit zum Lesen erkämpft.
Julia
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