Das neue Tocotronic-Album „Die Unendlichkeit“ lege ich euch ans Herz. Ach was, alle Alben der Band.
Das Album „Die Unendlichkeit“ erzählt die Geschichte der Band und ihrer Mitglieder. Von der Zeit bis zum Rolling Stone ist man sich einig: Damit steigen die Musiker*innen von ihrem „Elfenbeinturm“ des Diskurs-Pop herab und machen Musik aus der Lebenswelt einer*eines jeden.
Die Unendlichkeit bei Nacht, von der Erde aus gesehen. Und das Plattencover von TocotronicFür langjährige Fans und alle, die es nie werden wollten
Angefangen beim Teenager-Dasein in einer spießigen Kleinstadt, über den Umzug nach Hamburg, Erfolg und Selbstzweifel, der wirbelnden Liebe und das Älter-Werden bis zu Glück und Bewältigung des Alltags hört sich „Die Unendlichkeit“ an wie ein „was bisher geschah“ der Band. Alle, die – wie ich – beim Mitsingen vorheriger Alben gegrübelt haben, was zur Hölle hinter den Sprachkunstwerken an Texten stecken könnte, ist das Album eine Taschenlampe (wenn auch eine kleine), die uns zumindest die Illusion gibt, ein bisschen was zu sehen.
Für Alltagsphilosoph*innen und Leute mit Ideen
Andererseits macht genau das an Tocotronic besonders Spaß: Man könnte eine Gedicht-Interpretation über jeden Songtext schreiben, aber man ist eben nicht deutschunterrichts-mäßig dazu gezwungen (nichts für Ungut, Frau Basel!). Stattdessen kann man sich wild spekulierend seinen eigenen Reim machen, nach Gusto auf alle möglichen Lebenssituationen anwenden und dabei noch mit dem Tanzbein wippen. Oft habe ich schon Im Zweifel für den Zweifel vor mich hin gesummt, wenn mir eine Entscheidung schwer gefallen ist. Oder mich mit Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit getröstet, wenn – ja: Die Idee gut war, aber die Welt eben noch nicht bereit.
Für Freund*innen des Widerstands. Im Alltag und auch sonst
Die Musik von Tocotronic ruft auf zum Widerstand, zur Opposition, zum Anderssein. Unendlich beeindruckt hat mich, als Dirk von Lowtzow vor einigen Jahren bei einem Konzert in Würzburg den Song Aber hier leben, nein danke angekündigt hat mit: „Und jetzt kommt ein Lied, das auf diesen Teil von Deutschland ganz besonders zutrifft“. Obwohl ich inhaltlich keinesfalls zustimme und Berliner Freund*innen mit dem Wahlspruch „Der Trend geht nach Franken!“ zum Umzug in die Region zu bewegen versuche: Wie cool ist das, dem Publikum nicht mit den typischen übertriebenen Superlativen zu begegnen („Ihr seid das beste Publikum ever, Würzburg!“) sondern schon beinahe godot-mäßig über den Konzert-Ort zu lästern? Opportunistisch ist es jedenfalls nicht, genau wie gesellschafts- und kapitalismuskritische Songs wie Stürmt das Schloss oder Bitte oszillieren Sie. Mein Lieblingsstück auf dem neuen Album: Alles was ich immer wollte, war alles – in einer kapitalistischen Gesellschaft aus Sachzwang, Arbeitsmoral und „So ist es halt“ ein Kampfspruch für den Mut zu ungezügelter, utopischer Maßlosigkeit.
Für Fans des guten Sounds
Und das Beste: „Die Unendlichkeit“ ist keineswegs nur ein Gedichtband mit Gitarrenbegleitung, wie in einigen Rezensionen der Eindruck entsteht. Im Gegenteil: Vom Schrammelsound der ersten Alben über Stücke mit Akustik-Gitarre bis zu Geigenklängen ist das Album auch musikalisch ein Ohrenschmaus – mal ganz abgesehen von Dirk von Lowtzows unglaublicher Stimme.
Wenn so die Unendlichkeit klingt, dann immer her damit. Aber genug geschwärmt. Hört selbst!
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Katharina
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