Suchmaschinen beeinflussen, welche Informationen wir im Internet finden. Dabei gefährden sie gesellschaftliche Werte. Katharina Leyrer zeigt in diesem Blogbeitrag, wie Suchmaschinen so umgestaltet werden können, dass sie demokratische Ziele besser fördern – und was Bibliotheken damit zu tun haben.
Täglich steht uns eine unüberblickbare Menge an Informationen zur Verfügung. Um diejenigen Informationen zu finden, die für uns relevant sind, nutzen wir deswegen oft sogenannte Informationsintermediäre, die uns bei der Auswahl von Inhalten unterstützen, zum Beispiel Suchmaschinen, Soziale-Netzwerk-Seiten, journalistische Medienangebote oder Bibliotheken. Diese Informationsintermediäre haben einen großen Einfluss darauf, welche Inhalte in der Öffentlichkeit wahrgenommen und in welchen Wissensstrukturen sie präsentiert werden. In meinem Buch „Selektion in Informationsintermediären. Ethische Perspektiven auf Suchmaschinen und Bibliotheken“ habe ich am Beispiel von Suchmaschinen und Bibliotheken untersucht, wie sich die Informationsauswahl von Intermediären auf demokratische Werte auswirkt.
Öffentliche Bibliotheken als Vorläufer von Suchmaschinen
Suchmaschinen sind die meistgenutzten Informationsintermediäre im Internet und werden von über der Hälfte der Erwachsenen in Deutschland täglich genutzt. Öffentliche Bibliotheken werden oft als Vorläufer oder Parallele zu Suchmaschinen gesehen. Zwar unterscheiden sich Suchmaschinen und Bibliotheken in der Anzahl ihrer Nutzer*innen, ihren Zielen und den Formaten der Inhalte, die sie bereitstellen, voneinander; aus der Perspektive der Informationssuchenden ist aber vor allem die Funktion vergleichbar, die Bibliotheken und Suchmaschinen für die Nutzer*innen einnehmen: Beide ermöglichen gleichermaßen, Inhalte zu suchen und zu finden, die zum jeweiligen Informationsbedürfnis der Nutzer*innen passen. Deutlich wird diese Parallele beispielsweise in den Anfragen, die den Auskunftsbibliothekarinnen der New York Public Library (NYPL) in den 1940ern bis 1980ern telefonisch oder vor Ort gestellt wurden. Die Auskunftsfragen reichen von „Wie hieß Napoleons Pferd?“ bis zu „Welche Perückenhersteller gibt es in Miami?“ – und zeigen, dass Anfragen, die wir heute in eine Suchmaschine eingeben würden, damals Öffentlichen Bibliotheken gestellt wurden.
Werte im Kontext der Informationssuche in Suchmaschinen und Bibliotheken
Welche demokratischen Werte spielen im Kontext der Informationssuche in Suchmaschinen und Bibliotheken eine Rolle? Anhand des gesetzlichen Rahmens und den Ethik-Kodizes der Branchen- und Berufsverbände von Suchmaschinen und Bibliotheken in Deutschland lässt sich ableiten, dass neben Meinungs- und Informationsfreiheit, inhaltlicher Vielfalt und Freiheit von Zensur vor allem Kinder- und Jugendschutz, Privatsphäre sowie Diskriminierungsfreiheit und Gleichbehandlung zentral sind. Suchmaschinen fördern einige dieser Werte und gefährden zugleich andere; genauso gefährden auch Bibliotheken einige Werte, während sie andere fördern. Sehen wir uns beispielhaft die drei Werte Kinder- und Jugendschutz, Privatsphäre und Diskriminierungsfreiheit an: Gefährden Suchmaschinen und Bibliotheken diese Werte – und was kann getan werden, um diese drei Werte stärker zu fördern?
Wie können Suchmaschinen Kinder- und Jugendschutz fördern?
Fangen wir mit dem Wert Kinder und Jugendschutz an: Suchmaschinen wie Google und Bing bieten zwar einen sogenannten SafeSearch-Modus an, der Kindern und Jugendlichen die sichere Nutzung der Suchmaschine ermöglichen soll, indem kinder- und jugendgefährdende Inhalte in den Suchergebnissen nicht angezeigt werden. Studien zeigen jedoch, dass kinder- und jugendgefährdende Inhalte im Bereich von Rechtsextremismus, Islamismus und der Selbstgefährdung nicht zuverlässig herausgefiltert werden. Zudem kann der SafeSearch-Modus ohne Passwort deaktiviert werden, sodass nicht sichergestellt ist, dass Kinder- und Jugendliche Suchmaschinen nur in diesem Modus nutzen.
Um den Wert des Kinder- und Jugendschutzes zu fördern, müssten Suchmaschinenbetreiber wie Google und Bing ihren SafeSearch-Modus deutlich verbessern, sodass er jugendgefährdende Inhalte in allen Bereichen verlässlich herausfiltert. Vor allem bei der Suche nach Inhalten im Bereich der Selbstgefährdung müssten zudem Links zu Hilfsangeboten angezeigt werden. Darüber hinaus müssten Suchmaschinenbetreiber Personen beauftragen, die regelmäßig überprüfen, ob der SafeSearch-Modus tatsächlich alle kinder- und jugendgefährdenden Inhalte ausschließt. Schließlich müssten Suchmaschinen Maßnahmen ergreifen, mit denen sie sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche ihre Dienste nur im SafeSearch-Modus nutzen, beispielsweise indem sie die Deaktivierung des SafeSearch-Modus nur nach Eingabe eines Passwortes erlauben.
Mitarbeiter*innen Öffentlicher Bibliotheken schließen hingegen Medien aus, die hetzerische, diskriminierende und extreme Inhalte oder Desinformationen und Verschwörungserzählungen enthalten. Damit fördern Bibliotheken den Wert des Kinder- und Jugendschutzes durch ihre Selektionskriterien. Ob die Inhalte eines Mediums als problematisch aufgefasst werden, hängt allerdings von der persönlichen Auffassung der Bibliotheksmitarbeiterinnen ab und führt dazu, dass in Bibliotheken auch Medien ausgeschlossen werden, bei denen kontrovers diskutiert werden kann, ob sie als jugendgefährdend eingestuft werden sollen.
Mehr Privatsphäre beim Suchen in Suchmaschinen und Bibliotheken
Suchmaschinenbetreiber wie Google sammeln in großem Umfang Daten über ihre Nutzer*innen und geben diese weiter. Damit gefährden sie den Wert der Privatsphäre. Google sammelt, speichert und verwertet beispielsweise Daten über die Suchmaschinennutzung, personenbezogene Daten wie Namen, Mailadressen und Zahlungsinformationen, demographischen Daten wie Alter, Geschlecht und Beziehungsstatus, Daten über Aktivitäten individueller Nutzerinnen, z.B. welche Produkte gekauft und welche Inhalte geteilt wurden, Daten über Präferenzen individueller Nutzerinnen, Daten aus nutzergenerierten Inhalten sowie den Standort und der Standortverlauf der Nutzer*innen. Besonders problematisch ist dabei, dass die Nutzungsbedingungen von Google-Diensten intransparent sind, sodass der Mehrzahl der Nutzer*innen nicht bewusst ist, in welchem Ausmaß ihre Daten gesammelt und gespeichert werden.
Suchmaschinen müssten ihre Nutzer*innen daher darauf aufmerksam machen, in welchem Umfang ihre Daten gesammelt und ausgewertet werden, beispielsweise indem sie nicht nur in den intransparenten, umfangreichen Nutzungsbedingungen darauf hinweisen, sondern prominent auf ihrer Startseite. Nutzer*innen, die ihre Privatsphäre schützen möchten, können für Internet-Recherchen auf die Suchmaschinen-Anbieter Startpage oder DuckDuckGo zurückgreifen: Diese speichern keine Nutzer*innendaten.
Im Gegensatz zu den marktführenden Suchmaschinenanbietern Google und Bing erheben, verarbeiten und speichern Öffentliche Bibliotheken möglichst wenige personenbezogene Daten und nur solche, die für die Organisation bibliothekarischer Dienstleistungen benötigt werden. Damit schützen sie den Wert der Privatsphäre. Inwiefern die Privatsphäre von Bibliotheksnutzer*innen tatsächlich gewahrt werden kann, hängt aber auch davon ab, ob eine Bibliothek die automatisierte Ausleihe von Medien ermöglicht. Wenn Nutzer*innen für die Ausleihe und Rückgabe von Medien keinen Selbstverbuchungsautomaten nutzen können, sondern ihre Medien von Bibliotheksmitarbeiter*innen an der Theke verbuchen lassen müssen, können sie bei ihrer Medienauswahl nicht anonym bleiben. Bibliotheken können den Wert der Privatsphäre also fördern, indem sie Selbstverbuchungsautomaten anbieten. Dies ist mit deutlichem Personal- und Kostenaufwand verbunden, sodass dafür vor allem für kleine Kommunen zusätzliche Mittel bereitgestellt werden müssten. Darüber hinaus könnten Bibliotheken nach dem Vorbild einiger US-amerikanischer Public Libraries Informationsmaterialien anbieten, die Nutzer*innen das Auffinden von Medien zu sensiblen Themen wie Mobbing, Abtreibung und häuslicher Gewalt ermöglichen, ohne an der Informationstheke danach fragen zu müssen.
Gleichberechtigung und Diskriminierungsfreiheit in Suchmaschinen und Bibliotheken fördern
Suchmaschinen wie Google und Bing gefährden den Wert der Gleichberechtigung und Diskriminierungsfreiheit, indem sie diskriminierende Stereotype reproduzieren. Wenn Nutzer*innen beispielsweise die Suchworte „musliminnen sind“ eingeben, bietet Google den Vorschlag „musliminnen sind gefährlich“ an und reproduziert damit anti-muslimische Vorurteile. Die Google Bildersuche listet bei der Sucheingabe „unprofessionellen Frisuren“ vor allem Bilder Schwarzer Frauen auf, während die Anfrage „professionelle Frisuren“ vor allem Bilder weißer Männer und Frauen ergibt. Die Zusammenstellung von Suchvorschlägen und Suchergebnislisten reproduziert so rassistische und sexistische Stereotype.
Damit Suchmaschinen den Wert der Gleichbehandlung und Diskriminierungsfreiheit weniger gefährden, müssen sie eine Strategie entwickeln, mit der sie systematisch verhindern, dass Suchvorschläge und die Zusammenstellung der Suchergebnisse rassistische, sexistische und anti-muslimische Stereotypen reproduzieren. Die US-amerikanische Sozialwissenschaftlerin Umaya Sofia Noble fordert, dass Suchmaschinenbetreiber einen „permanent ‚technical fix‘“ (2018., S. 155) finden, der rassistische Repräsentationen in Suchmaschinen verhindert. Um sicherzustellen, dass die Anpassung der Selektionsregeln diskriminierende Suchvorschläge und Ergebnislisten tatsächlich verhindert, müssten Suchmaschinenbetreiber zusätzlich Personen beauftragen, die alle Sprachversionen regelmäßig und systematisch auf diskriminierende Suchergebnisseiten hin prüfen.
Auch Bibliotheken reproduzieren bei der Erschließung und bei der Präsentation von Inhalten Geschlechterklischees. Beispiele zeigen, dass Bibliotheken Medien mit geschlechtsspezifischen Interessenskreis-Aufklebern („Männer“ und „Frauen“) versehen und damit suggerieren, dass es bestimmte Inhalte gibt, die nur oder vor allem für Angehörige eines bestimmten Geschlechts relevant sind. Besonders problematisch ist, dass die Zuordnung der Themen dabei stereotypen Geschlechterzuschreibungen folgt. So beschriftet eine Kleinstadtbibliothek in Bayern ein Themenregal beispielsweise mit „Frauen / Liebe“ (vgl. Abb. 1). Dies trägt zur Verfestigung überholter Geschlechterzuschreibungen bei, nach denen Themen wie Liebe für Frauen besonders relevant, aber für Männer nicht von Interesse sind. Problematisch ist bei der geschlechterdifferenzierten Aufstellung von Medien zudem, dass sie zur Marginalisierung von Personen beiträgt, die sich weder als männlich noch als weiblich definieren.

Abb. 1: Regalbeschriftung „Frauen / Liebe“ in einer Kleinstadtbibliothek in Bayern. Aufgenommen am 28.05.2022.
Bibliotheken könnten den Wert der Gleichbehandlung und Diskriminierungsfreiheit fördern, indem sie davon absehen, Medien geschlechterdifferenziert zu präsentieren und zu empfehlen. Das bedeutet, dass sie keine Themenregale, Interessenskreise und Empfehlungslisten zusammenstellen, die sie als relevant für Angehörige eines bestimmten Geschlechts wie Männer, Frauen, Mädchen oder Jungen labeln. Hierfür müssten Bibliotheksmitarbeiter*innen für die Problematik geschlechterdifferenzierter Medienpräsentation und -empfehlung sensibilisiert werden, beispielsweise, indem die Thematik in der bibliothekarischen Ausbildung verankert und in Fort- und Weiterbildungen sowie in Fachpublikationen verstärkt aufgegriffen wird.
Fazit und Ausblick: Informationsintermediäre und demokratische Werte
Informationsintermediäre wie Suchmaschinen und Bibliotheken sind unverzichtbar: Täglich unterstützen sie uns dabei, in der riesigen Menge der zur Verfügung stehenden Informationen diejenigen zu finden, die für uns relevant sind – und beeinflussen dadurch, welche Inhalte wir wahrnehmen. Informationsintermediäre so zu gestalten und zu regulieren, dass sie gesellschaftliche Werte stärker fördern, ist daher essentiell. Das Buch „Selektion in Informationsintermediären“ zeigt am Beispiel von Suchmaschinen und Bibliotheken, wie Informationsintermediäre aus ethischer Perspektive geprüft und daraus konkrete Handlungsempfehlungen abgeleitet werden können. Damit kann es zugleich als Ausgangspunkt dienen, um weitere Intermediärstypen – beispielsweise Soziale-Netzwerk-Seiten oder KI-basierte Chatbots – einer vergleichbaren Analyse zu unterziehen. Nur so können wir sicherstellen, dass Informationsintermediäre durch ihre Selektionspraktiken demokratische Werte nicht gefährden.
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Katharina Leyrer: Selektion in Informationsintermediären. Ethische Perspektiven auf Suchmaschinen und Bibliotheken / transcript, 2025. – 294 Seiten


Katharina

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