Es ist Asexual Awareness Week!
Wenn ihr gerade die Stirn runzelt und euch fragt „Was bitte?“, seid ihr hier genau richtig und liefert gleichzeitig den Grund, warum mir dieser Blogartikel und das Buch so wichtig sind.
Asexualität ist ein Teil des LGBTQIA+-Spektrums, der selbst in der Community häufig so untergeht, dass man meinen könnte, er existiert gar nicht. Noch schwieriger ist es in den Medien: Ich habe noch keinen einzigen Film, keine einzige Serie gesehen, in denen eine explizit asexuelle oder aromantische Figur vorkommt. Dafür habe ich endlich ein Buch gefunden, das sich um eine Protagonistin dreht, die asexuell und aromantisch ist.
Was bedeutet es eigentlich, asexuell zu sein?
Zuerst möchte ich eine kleine Definition liefern, für alle, die mit den Begriffen noch gar nichts anfangen können.
Asexuelle Menschen (englisch „Aces“) verspüren wenig bis gar keine sexuelle Anziehung. (Im Gegensatz dazu steht allosexuell = sexuelle Anziehung verspürend.)
Aromantische Menschen (englisch „Aros“) verspüren wenig bis gar keine romantische Anziehung. (Im Gegensatz dazu steht alloromantisch = romantische Anziehung verspürend.)
Aromantisch und asexuell sind keine austauschbaren Begriffe.
Die beiden Identitäten können Hand in Hand gehen, müssen sie aber nicht. Es gibt Menschen, die aroace sind, aber genauso gibt es Menschen, die allosexuell und aromantisch sind: sie verspüren sexuelle Anziehung, aber eben keine romantische. Analog dazu gibt es Menschen, die eine romantische Beziehung führen, ohne sexuelle Anziehung zu spüren.
Beides ist natürlich ein Spektrum: Manche asexuellen Menschen haben kein Problem damit, Sex zu haben, um der Person, mit der sie eine Beziehung führen, eine Freude zu machen. Andere verspüren sexuelle Anziehung erst, wenn sie eine emotionale Verbindung zu einer Person aufgebaut haben und andere möchten einfach keinen Sex haben. Sie sind nicht kaputt. Ihnen fehlt nichts. Sie müssen nicht „repariert“ werden. Sie sind valide.
Dasselbe gilt für aromantische Menschen. Keine romantische Anziehung zu verspüren heißt nicht, dass sie nicht lieben, gefühlskalt oder beziehungsunfähig sind. Es heißt nur, dass sie keine romantische Liebe verspüren, alle anderen Arten von Liebe schon. Selbst die alten Griech*innen wussten übrigens schon, dass es mehr Formen von Liebe gibt als die romantische: beispielsweise Philia, die freundschaftliche Liebe. Jede Form der Liebe ist gleich viel wert und intime Beziehungen müssen nicht zwangsweise romantischer Natur sein.
Friendship can be just as intense, beautiful and endless as romance.
Jetzt zum Buch
Georgia ist 18 Jahre alt und hat noch nie jemanden geküsst. Sie liebt Fanfiction und Romanzen in Filmen, aber selbst hat sie die „große Liebe“ bisher noch nicht erlebt. Den Beginn eines neuen Lebensabschnitts an der Universität möchte sie dafür nutzen, um genau das nachzuholen. Es heißt doch schließlich, dass irgendwann jede*r die*den Richtige*n findet! Sie bemüht sich wirklich, aus sich herauszugehen, Menschen kennenzulernen und wartet darauf, dass irgendwann das passiert, was anscheinend alle Menschen erleben: sie wird sich unsterblich verlieben, auf romantische Dates gehen und Sex… Naja, der Gedanke daran erscheint ihr nicht gerade verlockend. Aber das kommt bestimmt noch. Ganz sicher.
Aber trotz ihrer Bemühungen und der Unterstützung ihrer besten Freunde bleiben romantische Beziehungen etwas, mit dem sie zwar in Büchern mitfiebert, das sich in der Realität aber seltsam anfühlt. Macht sie etwas falsch? Wieso ist sie nicht in der Lage, das zu fühlen, was alle um sie herum zu fühlen scheinen? Als sie zum ersten Mal Menschen trifft, die asexuell und aromantisch sind, ändert sich für sie alles. Ist es vielleicht doch möglich, dass sie nicht allein ist mit ihren Gefühlen?
„Loveless“ verfolgt Georgias Weg von ihrer Verzweiflung darüber, irgendwie anders zu sein, über die Frage, ob etwas mit ihr nicht stimmt bis zu der Erkenntnis, dass sie nicht allein ist. Es ist eine Geschichte von Freundschaft, Selbstfindung und Selbstakzeptanz. Ein wunderschöner Coming-Of-Age-Roman, der eines ganz deutlich zeigt:
Representation matters
Repräsentation ist wichtig. Es wird oft gesagt, aber es ist mehr als eine Phrase. Bei Repräsentation geht es nicht um eine symbolische Geste, um für die Öffentlichkeitsarbeit zu punkten. Es geht darum, queeren Menschen das Leben zu erleichtern.
Georgia hat im Roman enorme Schwierigkeiten, ihre Identität zu finden und zu akzeptieren, weil sie noch nie davon gehört hat, dass asexuelle und aromantische Menschen existieren und ein genauso erfülltes Leben führen können, wie allosexuelle und alloromantische Menschen. So geht es in der Realität vielen queeren Menschen, weil viele Facetten von Queerness zu wenig sichtbar sind und es zu viele negative Stereotype gibt. Asexuelle oder aromantische Menschen geraten ohne positive Repräsentation in Gefahr, auf die Behauptungen hereinzufallen, dass sie „kaputt“ sind, oder dass sie „nur auf den*die Richtige*n warten müssen“. Oder sie bekommen das Gefühl, dass sie nicht „genug“ lieben können, weil sie nicht in die allosexuelle, alloromantische Norm passen, die oft als die „wahre Liebe“ dargestellt wird. Menschen müssen sehen, dass es Identitäten abseits der heteronormativen Welt gibt, um zu erkennen, dass sie perfekt sind, wie sie sind.
Die Medien machen langsam Fortschritte, aber es gibt noch viele Facetten der queeren Community, die sich nirgends im Mainstream wiederfinden. Deshalb ist dieses Buch so wichtig und ich hoffe, dass noch viele weitere folgen werden, in denen Menschen, die asexuell und/oder aromantisch sind, die Sichtbarkeit und das Happy End bekommen, das sie verdienen.
Asexuell und aromantisch – eben nicht loveless
Ich kann euch dieses Buch wirklich nur ans Herz legen. Vielleicht gibt es euch den Anstoß, die Erzählungen zu hinterfragen, die unsere Medien prägen und welchen realen Einfluss sie auf das Leben von queeren Menschen haben.
Ich weiß, es kann schwerfallen, sich in die Lage von Menschen einzufühlen, die eben nicht überall repräsentiert werden, weil es schwierig ist, sich von der eigenen Perspektive zu lösen. Als cis, hetero- oder allosexueller Mensch ist man es gewohnt, die Norm zu sein. Das ist einfach so, darin liegt kein Vorwurf. Aber wir können alle unseren Horizont erweitern, indem wir Medien konsumieren, die uns die queere Community näherbringen und dabei helfen, gute Verbündete zu sein. Falls ihr gleich damit anfangen wollt: Schaut doch mal in unseren Interessenskreis LGBTQIA+, da ist für jede*n was dabei. Hier findet ihr weitere Blogartikel zu Thema queerness.
Give your friendships the magic you would give a romance. Because they’re just as important.
Und jetzt lesen
Alice Oseman: Loveless / Harper Collins, 2020. – 432 Seiten
Julia
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