re:publica 2018 © Stadtbibliothek Erlangen

re:publica 2018: Raus aus der Filterblase

Wir sind zurück aus Berlin. Meine Kollegin Katharina und ich waren auf der re:publica, der größten Digitalkonferenz Europas. Unsere Mission: Vorträgen und Diskussionen folgen, Leute kennenlernen, uns vernetzen und neue Impulse bekommen.

Die Internet-Euphorie ist weg. Nicht erst seit heute. Doch die vergangenen Monate haben durch das Bekanntwerden von Datenmissbrauch und Wahlkampfmanipulation ein besonders düsteres Bild gezeichnet. Kein Wunder, dass die diesjährige re:publica unter dem Motto POP (Popularität, Populismus und Power to the People) von einer besonders nachdenklichen Grundstimmung geprägt war. Kaum ein Vortrag, der nicht die Risiken der digitalen Entwicklungen im Blick hatte. Über das Thema Netz-Euphorie oder digitale Selbstverteidigung hat Katharina bereits kürzlich gebloggt.

Wie die Welt der Algorithmen untergraben

Die Eröffnungsrede von danah boyd war ein würdiger Einstieg in die Konferenz. Die US-amerikanische Medienwissenschaftlerin erklärte, wie algorithmische Verstärkungseffekte im Netz unsere Wahrnehmung manipulieren können. Ein einfaches Beispiel: Gebt bei der Google-Bildersuche „Baby“ ein und ihr bekommt vor allem weiße Babies angezeigt. Warum? Weil genau diese Bilder angeklickt werden. “Google hat die rassistische Dynamik der Gesellschaft gelernt”. Die Menschen tragen die Verantwortung für ihr Verhalten im Netz. Die Technologien sind die Verstärker. Wir alle – auch die Massenmedien – müssen uns bemühen, die Dynamik der Algorithmen zu verstehen, uns nicht manipulieren zu lassen und Desinformationen nicht weiterzuverbreiten.

Wie mit Fake News und Netz-Hetze umgehen

Viel drehte sich auch um Hassäußerungen im Netz. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) hat sich bei deren Bekämpfung laut Jörg Heidrich bisher nicht als hilfreich erwiesen. Durch das vorschnelle Sperren von Inhalten seitens der Plattformbetreiber wird die Strafverfolgung erschwert und die Meinungsfreiheit bedroht. Eine komplexe gesellschaftliche Frage lässt sich eben nicht mit einfachen Antworten begegnen.

Wie rechtsextreme Agitation im Netz organisiert ist, zeigt die Dokumentation Lösch dich!. Rayk Anders und Patrick Stegemann begleiteten Personen, die undercover im Netz als Hater unterwegs waren.

Viele weitere Redner*innen setzten sich damit auseinander, was wir gegen die Verbreitung von rechtem Gedankengut und die Ausgrenzung von Andersdenkenden tun können. Sascha Lobos Kraftrede brachte es auf den Punkt: Stellung beziehen gegen rechtsextremes Gedankengut ist erstens nicht linksextrem sondern demokratisch und zweitens nicht ausreichend. Denn für den gesellschaftlichen Fortschritt ist reine Gegnerschaft keine Option. Warum driften so viele – auch Intellektuelle – nach rechts ab? Die Menschen bekommen ein verführerisches Angebot, sie sehen in der Ausgrenzung eine nachvollziehbare Lösung. Sascha Lobos plädiert für einen offensiven Sozial-Liberalismus, in dem Minderheiten nicht ausgegrenzt werden, der sich vom Konservatismus abgrenzt, ohne gesellschaftlich heikle Themen auszusparen. Leitwerte statt Leitkultur. Multikulti ist in Ordnung, wenn Grundwerte eingehalten werden: „Lasst doch die Leute in Ruhe und tun, was sie wollen – so lange es im Rahmen der liberalen Demokratie bleibt“.

Wie die Filterblasen zerplatzen

Wir alle schaffen uns eigene Filterblasen. Das ist kein Internetphänomen. Ganz im Gegenteil: Wir würden ohne Netz viel weniger Differenz sehen. Für den Blogger Thomas Knüwer ist Facebook eine Möglichkeit seine analoge Filterblase zerplatzen zu lassen, z.B. wenn er dort etwas von den Lebensrealitäten seiner „Fußballkumpel“ mitbekommt, deren Wege sich außerhalb des Stadions nie kreuzen. Gegen die Filterblasentheorie spricht auch die Netzwerktheorie. Denn die Vielzahl der schwachen Verbindungen, die wir pflegen – auch bei Facebook und Co – erhöhen nachweislich unsere Informationsvielfalt.

Es wäre also zu kurz gedacht, Google, Facebook oder Twitter die Schuld für die Zergliederung unserer Gesellschaft zu geben. „Wir verwandeln dadurch soziale Probleme der Abschottung in technische Manipulationsfantasien.“, sagt der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen in seinem Vortrag Filter Clash. „Das was wir die Filterblase nennen, ist ein Symptom unseres Verhaltens. Wir googeln uns selbst in eine Wirklichkeitsblase hinein“. Doch die völlige Abschottung gelingt im Zeitalter der Vernetzung nicht mehr. Durch das Internet wird die Differenz der unterschiedlichen Lebenswelten transparent.  Wir werden dort ständig mit Ansichten konfrontiert, die nicht unserem Weltbild entsprechen. Als Reaktion auf diesen Filterclash  ziehen sich viele Menschen zurück. Bernhard Pörksen hält das für einen Fehler, für ein „Wellnessproblem der Privilegierten“. Statt Algorithmen zu dämonisieren, sollten wir lieber über unsere selbstproduzierten Filterblasen sprechen und Wege aus der kollektiven Erregung finden.

Auch Thomas Knüwer thematisiert in seinem Vortrag Die Teilung der Welt: Polarisierung ist Pop die gereizte Stimmung. Nicht nur in sozialen Netzwerken, sondern auch in den klassischen Medien ist der Ton rauer und die Berichterstattung negativer geworden.  Der einzelne Mensch ist gefragt, dieser Polarisierung entgegenzutreten, weniger aggressiv und selbstgewiss zu kommunizieren, unabhängig davon welche Meinung er vertritt.

Warum der freie Zugang zu Wissen ein radikaler Akt ist

Spannend war auch der Vortrag der Wikipedia-Chefin Katherine Maher. Der freie Zugang zu Wissen ist in weiten Teilen der Welt nicht selbstverständlich: überall dort wo Pressefreiheit, ein Netzwerk von Bibliotheken und unzensiertes Internet fehlen. Doch auch die Übermacht von Google und Facebook ist gefährlich. Diese Unternehmen agieren wie eigene digitale Königreiche. Sie kontrollieren mit nicht transparenten Algorithmen den Zugang zu Wissen. Sie haben die Macht und die finanziellen Mittel, souveräne Staaten zu umgehen, die Gesetzgebung zu beeinflussen und Mitbewerber auszuschalten. „Der Umkehrpunkt ist jetzt“, fordert Maher. Die Politik ist gefragt, Rahmenbedingungen für ein besseres Internet zu schaffen: Ein Internet, in dem Menschen unter Berücksichtigung ihrer Privatsphäre freien Zugang zu Informationen haben und kollektiv Inhalte frei von kommerziellen Interessen gestalten können.

Zu einem freien Zugang zu Wissen tragen auch Bibliotheken bei. Die re:publica hat (hoffentlich nicht nur uns) einmal mehr gezeigt, welche  wichtige gesellschaftliche Bedeutung Bibliotheken auch im Internetzeitalter haben.

Wie ein Besuch der re:publica – auch für Bibliotheksmenschen – ein Erfolg wird

Bibliotheksmenschen auf der re:publica
Bibliotheksmenschen auf der re:publica

Zunächst einmal: Bei mehr als 600 Vortragenden muss man sich permanent zwischen einer Vielzahl von spannenden Panels, Vorträgen und Diskussionen entscheiden. So ist mir der Auftritt der Whistleblowerin Chelsea Manning entgangen. Zum Glück gibt es die Videoaufnahmen.

Es war meine zweite re:publica und im Gegensatz zum ersten Mal vor drei Jahren wurde ich aus folgenden Gründen nicht enttäuscht:

  • Ich habe akzeptiert, dass diese Konferenz wenig konkrete Impulse für die eigene Arbeitspraxis bringt. Dafür weitet sie den Blick für den gesellschaftlichen Rahmen, in welchem wir aktiv sind.
  • Ich ziehe Vorträge den Podiumsdiskussionen vor, die meiner Ansicht nach oft recht oberflächlich bleiben.

Die re:publica ist eine Gesellschaftskonferenz, keine Fachtagung. Das macht sie aber nicht weniger relevant. Ganz im Gegenteil. Nirgendwo anders habt ihr die Chance so hochkarätige Vorträge über unsere digitale Welt, die Rolle der Menschen und Institutionen darin zu hören und euch über die eigene Filterblase hinaus zu vernetzen. Macht es, ich kann es nur empfehlen.

The following two tabs change content below.

Marlene

Als Verantwortliche für Online-Kommunikation und digitale Medien in der Erlanger Stadtbibliothek bin ich viel im Netz unterwegs. Den analogen Ausgleich finde ich beim Wandern, Reisen und in der Literatur. #Bettleserin #Couchsurferin #Wikipedianerin

Neueste Artikel von Marlene (alle ansehen)


Beitrag veröffentlicht am

in

,

Kommentare

2 Antworten zu „re:publica 2018: Raus aus der Filterblase“

  1. […] hat im Blog der Stadtbibliothek Erlangen noch einiges Inhaltliches zusammengefasst. Ich empfehle den Artikel gerne. Weiterhin sind alle Kolleginnen und Kollegen herzlich in die Facebook-Gruppe […]

  2. […] hat mir richtig viel gegeben. Ich bin sehr dankbar, dass ich dort sein durfte. In meinem Beitrag Re:publica 2018: Raus aus der Filterblase habe ich beschrieben, warum sich ein Besuch auch gerade für Bibliotheksmenschen […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert